Das ist genau die Zeit, die die einmotorige Cessna 182 braucht, um auf die Höhe zu kommen. Aber besser von vorne:
Ich stehe auf dem Flugfeld in Ganderkesee. Die Cessna hält vor mir, als erstes steigen 2 Personen ein, dann komme ich. Nach mir steig noch Dieter zu. Die Maschine setzt sich in Richtung Startbahn in Bewegung. Dort angekommen wird sie gleich schneller, um bei Erreichen der richtigen Geschwindigkeit abzuheben. Ich sitze mit dem Rücken zur Flugrichtung und kann sehen, wie wir an Höhe gewinnen. Mein Blick wandert auf den Höhenmesser. Erst 200 Meter sind wir hoch. Tapfer steigt die Cessna auf.
So ein kleiner Flieger vermittelt irgendwie das Fliegen direkter als ein Touribomber. Schnell wird die Startbahn kleiner, genauso wie die Menschen dort.
500 Meter. Ich habe freien Rundumblick. Ich sehe Bremen, die Weser, die Bremer Stahlwerke. Dann der Hafen. Von oben erkenne ich den im Bau befindlichen Space-Park. Dort steht seit gestern eine Ariane. Genau, die Weltraumrakete. Es ist die 4 oder die 5, ich weiß es nicht mehr so genau.
Der Kabinenboden, auf dem ich sitze, ist hart. Die Kabine nicht sonderlich groß. Wie schrauben uns immer höher.
Ab 1000 Meter kann ich Bremerhaven erkennen, die Wesermündung und den Jadebusen. Ich versuche einen Bekannten in Ostfriesland, samt Motorrad, zu sehen. Es gelingt mir nicht. Wer weiß, wo der wieder rumgurkt? Ich genieße den Ausblick. Unermüdlich steigen wir weiter.
1500 Meter. Ich schaue auf die Uhr. Wir sind schon 10 Minuten unterwegs.
Ab jetzt ist die Höhe gleichgültig. Ob Du nun 1000 oder 1500 Meter hoch bist, macht keinen Unterschied mehr. Du bist irgendwie abgekoppelt von der Welt.
Es ist für mich der helle Wahnsinn, dieses unbeschreibliche Gefühl.
2000 Meter. Den Höhenunterschied entnehme ich nur noch dem Höhenmesser.
Und es geht weiter.
2500 Meter. Jetzt sind wir in den Wolken. Ich sehe nur noch grau. Schade, denke ich. Kein Ausblick mehr. Ich lausche dem Motor, genieße das Gefühl.
2900 Meter. Nur noch 3 Minuten sagt der Pilot. Die beiden, die zuerst eingestiegen sind, verzurren sich.
2950 Meter Nur noch 2 Minuten sagt der Pilot. Dieter und ich fangen ebenfalls an zu zurren. Ich muss mich dafür auf seinen Schoß setzten. Du kannst es nicht aufhalten, denke ich, die Zeit läuft. Ich zweifel ob ich das kann, was gleich kommt. Nicht weiter drüber nachdenken, befehle ich mir. Du wirst jetzt einfach nur vertrauen, den Dingen seinen Lauf lassen. Zum Glück sind die Wolken wieder verschwunden, ich habe freien Blick.
3000 Meter. Es geht los. Neben mir öffnet sich die Luke. Ich habe Probleme meine Füße nach außen zu bekommen. Jetzt ist es geschafft, nachdem Dieter mich noch etwas zurück zog. Ich sitze immer noch auf seinem Schoß. Hänge die Füße über das schmale Brett draußen, nehme den Kopf ganz zurück Auf einmal dreht sich alles um mich und ich habe das Gefühl der Schwerelosigkeit. Nun nehme ich die Füße zurück, genau wie vorher besprochen, mache ein Hohlkreuz.
Dieter bringt uns in Position. Das Gesicht nach unten. Ich rase auf die Erde zu. Doch irgendwie ist sie weit weg. Ich gucke durch die Brille, es kommt mir vor, als hätte ich einen Wasserfilm vor Augen. Ich sehe aber alles sehr klar. Wir werden immer schneller. So ist also der freie Fall! Es ist Irrsinn. So etwas übersteigt die menschliche Vorstellungskraft. Man muss es erlebt haben. Du fällst und fällst, fühlst Dich dabei unendlich frei. Das es solche Gefühle gibt, hab ich vorher nicht gewusst. Schon seit dem Aufstieg denke ich an Reihard Mey und sein Lied, Über den Wolken. Dieter klopft mir auf die Schulter, ich nehme die Arme hoch. Der Wind ist sehr laut. Ich schreie in die Welt, höre mich aber selber nicht. So laut ist der Fallwind.
Wir fallen immer schneller. Jetzt klopft Dieter mir wieder auf die Schulter.
Ich nehme die Hände wieder an meinen Gurt. Wir sind bereits 1500 Meter gefallen, in nur 37 Sekunden. Wir haben eine Fallgeschwindigkeit von über 200 KM/H. Ich kenne dieses Tempo vom Motorradfahren, nur dass dann vieles an einem vorbei fliegt. Jetzt ist immer noch alles weit weg. Subjektiv ist das Höheempfinden genauso, wie ganz oben. Die Welt ist weit weg.
Jetzt löst Dieter den Fallschirm aus. Wir werden stark abgebremst. Der Orkan wird leise. Wir hängen am Fallschirm. Es wird ganz ruhig. Totenstill ist es im Himmel. Und ich bin hier. Unbeschreiblich, was ich empfinde. Nun gleiten wir langsam tiefer. Dieter sagt, ich soll mich auf seine Füße stellen und mich abstützen. Ich merke, dass er irgendwas am Gurt macht. Nein, er will mich nicht abschnallen. Jetzt lasse ich mich wieder hängen. Wir gleiten der Welt langsam entgegen. Irgendwo über uns befindet sich das andere Tandempaar. Jetzt hält er mir die Schlaufen zum Lenken hin. Ich erfasse sie und er zeigt mir das Lenken. Wir fliegen einige Kurven, es ist irre gut.
Gleichzeitig ziehen bremst den Fall. Ich soll locker bleiben, aber ich ziehe an beiden Schlaufen. Ich will nicht dass es aufhört. Nie soll es aufhören.
Doch die Erde ist schon nahe, ich erkenne meine Familie. Ich winke und rufe, bin voll mit Adrenalin. Jetzt nur noch wenige Meter bis zur Landung. Dieter ist Profi. Er springt schon seit 20 Jahren, früher sogar hauptberuflich.Er trifft genau den Fleck, den er anvisierte. Nun bekomme ich das Kommando zum Füße anheben. Ich gebe mir mühe. Der Fallschirm bremst uns. Bautz, wir sind auf dem Hintern gelandet. Ich bin überwältigt. Sitze im Gras, kann es nicht fassen. Neben dem Feld stehen die Leute und klatschen. Es war der helle Wahnsinn, auch wenn ich mich wiederhole.
Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt. Wir stehen auf, nehmen den Fallschirm auf. Das muß ich noch mal machen, sage ich zu Dieter. Dieter sagt es wäre ein guter Gedanke, er sollte es auch tun. Wir schauen den Anderen beim Landen zu. Bautz, auch sie sind unten.Vom Flugfeld runter werde ich mit großem Hallo empfangen, noch ein Applaus für mich.
Ich bin stolz, fühle mich als Held. Sarah, meine Tochter, sagt: Papa, Du siehst in diesem Anzug echt Scheiße aus, aber Du trägst es gut. Kaum sind sie aus den Windel raus, schon werden sie frech, die Gören. Pah!
So erlebt am 03.08.2002.